Wie finden wir die neue Staffel Bridgerton?
Geneigte Leserschaft, zu unser aller größten Freude hat Netflix auch in diesem Jahr eine neue Staffel Bridgerton produziert, um uns mit dem skandalösen Treiben ihrer allzu beliebten Londoner Adelsfamilie zu versorgen. Die zweite Staffel der historischen Dramaserie, die auf den Büchern von Julia Quinn beruht, lässt sehr wahrscheinlich viele Fanherzen höherschlagen. Das, obwohl unser aller Liebling, der Duke of Hastings Simon Basset (Regé-Jean Page) in dieser Staffel nicht mit von der Partie ist, denn in Staffel zwei gehört die Bühne gänzlich dem Viscount Anthony Bridgerton (Jonathan Bailey), Daphnes großem ledigen Bruder. Ich habe mir die gesamte Staffel vor gut einer Woche, während einer fetten Erkältung, reingezogen und bin, wie auch schon in der ersten Staffel Bridgerton, wieder einmal zwiegespalten.
Um hier möglich nur auf die Handlung der zweiten Staffel einzugehen, versucht die Historikerin in mir die offensichtlichen historischen Fauxpas soweit möglich auszublenden. Für mich spielt Bridgerton leider ungefähr überall, aber sicherlich nicht in London 1813. Historische Ungenauigkeiten werden wohl immer eine Sache bleiben, über die man in dieser Serie sehr großzügig hinwegsehen muss, da man sonst aus dem Augen rollen nicht mehr herauskäme.
ACHTUNG MASSIVER SPOILER
Trotzdem komme ich nicht umher zumindest eine Kleinigkeit anzumeckern. Die beiden neuen Hauptcharaktere, die Geschwister Sharma wollen aus Indien nach London angereist sein, nur um für die jüngere Schwester einen adeligen englischen Gemahl zu finden. Wir halten also fest: Eine Witwe und ihre beiden hübschen heiratswilligen jungfräulichen Töchter allein auf einer für damalige Verhältnisse „Weltreise“?
Reisende Frauen im 19. Jahrhundert eher eine Sensation
Reisen im 19. Jahrhundert war eher unüblich für Frauen, da es dem weiblichen Ideal der „häuslichen Frau“ widersprach und dementsprechend ein gesellschaftliches Tabuthema war. Hinzu kam, dass es den meisten Frauen zur damaligen Zeit definitiv auch an den finanziellen Mitteln gefehlt hat, die unsere drei Ladies aus Indien, so mag man ihren Erzählungen Glauben schenken, wohl auch nicht vorzuweisen hatten. Zudem gab es lange Vorurteile, dass Frauen auf See Streit und Mord bringen würden, ein weiteres Problem, wogegen es erst einmal anzukämpfen galt. Natürlich gab es hier vereinzelte Ausnahmen, die sich darüber hinweggesetzt haben. Die waren für gewöhnlich aber Angehörige der Kolonialmächte (Britinnen oder Französinnen) und bis Mitte des 19. Jahrhunderts eher kleine Sensationen. Sie hatten auf diesen Reisen leider auch häufig mit zudringlichen Männern zu kämpfen. Alles in allem hat Reisen für Frauen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts sicher keinen großen Spaß gemacht. Diese Tatsache änderte sich leider erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts, weshalb es mir für Kate und Edwina Sharma sehr leidtut, aber sie waren ihrer Zeit wohl um gut hundert Jahre voraus.
Nun aber genug gemeckert, kommen wir also lieber zur Handlung.
Ich war sehr gespannt auf eine zweite Staffel, in der man die Serie ihres Hauptcouples beraubt. Der Duke und die Duchess von Hastings werden auf die Ersatzbank geschickt, denn die Bühne gehört hauptsächlich Daphnes (Phoebe Dynevor) Geschwistern. Ihr großer Bruder Anthony verkündet nämlich dieses Jahr Ausschau nach einer würdigen Vizegrafin zu halten. Dabei wählt er, sehr zum Bedauern seiner Mutter Lady Violet (Ruth Gemmell) eher den rationalen Weg und hört nicht auf sein Herz, das ihm bei einem morgendlichen Ausritt eine hübsche Lady in Grün, die alles, aber nicht auf den Mund gefallen ist, vorstellt.
Parallel wird Eloise (Claudia Jessie) dieses Jahr für ihre Rolle als Juwel der Königin vorbereitet. Spoiler an dieser Stelle mit dem absolut niemand gerechnet hätte: Sie wird es natürlich nicht. Sie hat auf diese Ehre auch ungefähr so viel Lust, wie auf Daphnes Babyboy, der den Zuschauern in der ersten Folge als Wiedergutmachung dafür, dass man den Duke of Hastings rausgeschrieben hat, präsentiert wird. Generell ist mir Eloise in der zweiten Staffel ein Ticken drüber. Ihre Ansichten sind für ihre Zeit schon extrem und ich bin unschlüssig, ob man das zu damaliger Zeit wirklich so geduldet hätte. Nichts destotrotz spielt sie die Schlüsselrolle bei der Suche nach unserem Gossip Girl des 19. Jahrhunderts. Sind wir hier mal ehrlich – auch das macht sie mehr schlecht als recht, aber dazu komm ich später.
Neben Eloise darf man Daphne natürlich nicht vollständig unter den Tisch fallen lassen. Sie spielt diesmal nur eine Randfigur, die die ganze Zeit zu viel weiß und versucht ihren großen Bruder auf den richtigen Weg zu führen. Daphne ist wie wir, die Einzige, die wohl nicht komplett blind und bescheuert zu sein scheint, wenn es um Anthonys wahre Gefühle geht.
Die restlichen Geschwister sind für die Handlung unbedeutend
Die restlichen Geschwister, allen voran die jüngeren Brüder Benedict (Luke Thompson) und leider auch Colin (Luke Newton) rücken mit Anthonys Mainplot eher ins Abseits. Benedicts Höhepunkt ist erreicht, als er herausfindet, dass nicht sein Talent als Künstler, sondern die großzügige Spende seines älteren Bruders ihn auf die Hochschule seiner Wünsche gebracht hat und Colins Geschichte wird vermutlich für eine spätere Staffel aufgespart. Marina Thompson hat eine kleine Gastrolle, um den Plot um ihre Schwangerschaft und Colins unerwiderten Antrag einen Abschluss zu geben, danach wird Colin aber bewusst in Richtung Penelope Featherington geschubst.
Was gibt es Neues im Hause Featherington
Und damit kommen wir zu den großen Verlierern der ersten Staffel. Das Haus Featherington. Doch wie sich schon in Staffel eins abzeichnet, ist Lady Portia (Polly Walker) eine Überlebenskünstlerin. Ich steh mit dieser Meinung vielleicht allein da, aber ich mag sie. Sie macht es spannend und ist nicht vollkommen vorhersehbar. Während Philippa diese Staffel keine Rolle mehr spielt, ist Prudence (Bessie Carter) immer noch so hohl wie eh und je. Ein bisschen verstörend aber für damalige Verhältnisse üblich schafft sie es mit Hilfe ihrer Mutter ihren reichgeglaubten Cousin Lord Jack Featherington (Rupert Young) zu einer Verlobung zu nötigen. Der gute Mann hat leider auch keine Ahnung mit welcher Frau er sich da angelegt hat und ich bin sehr gespannt, ob er in einer weiteren Staffel zurückkehrt oder ob sein Gastspiel bereits beendet ist.
Zu guter Letzt bleibt in dieser Familie natürlich Penelope (Nicola Coughlan) übrig. Ich persönlich fand es nicht so berauschend, dass sie am Ende der ersten Staffel als Lady Whisteldown enttarnt wurde. Ich rätsle einfach zu gern und irgendwie hat mir das einen großen Teil der Spannung genommen. Andererseits bekommt man nun natürlich einen tieferen Einblick in ihre Gefühlswelt und den Zwiespalt, den ihr Job mit sich bringt, wenn sie beispielsweise die Skandale der Familie ihrer besten Freundin, oder vielleicht sogar Geheimnisse von dieser selbst aufdeckt? Denn dazu ist Penelope gezwungen, nachdem Eloise ins Fadenkreuz der Königin gerät. Dass sie sich heimlich in einen Zeitungsjungen weit unter ihrem Stand verguckt und radikalen Feministinnen zugetan ist scheint Penelope ein kleiner Preis, den sie bereit ist zu zahlen, um Eloise vor der Königin von England zu beschützen. Ihre kluge Idee: Wenn Lady Whistledown auch über sie schreibt, wird die Königin sehr schnell überzeugt sein, dass Eloise nicht selbst Lady Whistledown sein kann. Dass sie ihr damit aber auch den sozialen Status vollständig ruiniert wohl Kollateralschaden, denn andernfalls müsst sie selbst sich ja der Königin stellen. Wer also Freunde wie Penelope hat braucht wahrlich keine Feinde.
Neu in der Runde: Familie Sheffield Sharma
Zu guter Letzt kommen wir zum neuen weiblichen Hauptcharakter und ihrer Familie. Kate Sharma (Simone Ashley) ihres Zeichens „zu alt zu heiraten“ begleitet ihre kleine Schwester und Mutter auf der Reise nach England, um für besagte kleine Schwester einen Mann zu finden und sie versorgt zu wissen. Kate selbst ist – oh Zufall – wie Anthony auch, eigentlich viel zu alt für das ganze Spiel der Brautschau und plant nach der Hochzeit nach Indien zurückzukehren. Sie ist außerdem eigentlich nur die Halbschwester und nicht wirklich mit ihrer Mutter Lady Mary Sheffield Sharma (Shelley Conn) verwandt. Lady Mary spielt die gesamte Zeit keine Rolle, außer dass sie sich für einen Bürgerlichen gegen ihre adligen Eltern gewandt hat und mit ihm nach Indien durchgebrannt ist, hat sie die Weichen für alle weiteren Plots gestellt und verschwindet in der Versenkung.
An Naivität kaum zu überbieten
Deshalb kommen wir ohne Umschweife zum mit Abstand naivsten Charakter der Staffel. Edwina Sharma, der ganze Stolz der Familie. Edwina soll einen Mann finden, die Mitgift ihrer Großeltern einstreichen und dann glücklich in England leben bleiben – soweit jedenfalls Kates Plan. Dabei wird diese fleißig von Lady Danbury unterstützt, die für dieses Vorhaben ihr Haus sowie Ansehen für die Familie zur Verfügung stellt und Kate mit gut gemeintem Rat zur Seite steht.
Kates kleine Schwester macht die wohl mit Abstand größte Charakterentwicklung der gesamten Staffel durch, denn sechs Folgen lang will man das Mädchen einfach nur nehmen und schütteln, damit sie die Augen aufmacht und sieht, was dem Zuschauer und Daphne von der ersten Sekunde an bewusst ist. Der Mann, in den sie sich verliebt hat, steht eigentlich auf ihre große Schwester.
Edwina (Charithra Chandran) wird zum Juwel der Königin für die Saison auserkoren und hat damit eigentlich die Qual der Wahl, bis sie den Antrag des Vizegrafen Anthony annimmt. Ihr Charakter hat mich über sechs Folgen wahnsinnig gemacht, weil ich einfach nicht fassen konnte, wie blind und naiv eine Person sein kann. Gleichzeitig finde ich aber auch, dass Edwina den Zeitgeist der jungen heiratswilligen Mädchen damit perfekt wiederspiegelt. Die Krönung setzt sie dem wohl auf, als sie ihre offensichtlich in ihren Verlobten verliebte Schwester allein mit ihm auf die Jagd schickt. Warum ausgerechnet ein heruntergefallener Armreif sie schließlich aus ihrem Dornröschenschlaf erweckt, kann ich leider nur dadurch erklären, dass man Kates verstorbener Mutter und den beiden vererbten Armreifen spontan noch irgendeine tiefere Bedeutung zumessen wollte. Nichtsdestotrotz ist man am Ende froh, dass der Reif herunterfällt, da man diesen schier endlos überdehnten Spannungsbogen, wann diese unsinnige Hochzeit mit Anthony endlich abgesagt wird, einfach nicht mehr aushält.
Da wir dann aber bereits sechs Folgen mit dem endlosen dahin Geplänkel zwischen Kate, Edwina und Anthony verbracht haben, bleiben leider nur zwei übrig, um den beiden Familien noch ein wenig soziale Ächtung und das versprochene Happyend herbeizuführen. Denn wie uns allen – im Gegensatz zu Anthony – beim morgendlichen Ritt in Episode eins klar war: Kate ist die Frau seines Herzens.
Zeitgleich mit Anthonys Erleuchtung geht übrigens auch seinem kleinen Schwesterchen ein Licht auf. Nach Eloise endloser Jagd auf Lady Whistledown in Staffel eins, und ihrer anfänglichen Zurückhaltung zu Beginn der zweiten Staffel realisiert sie endlich, dass Lady Whistledown die ganze Zeit vor ihrer Nase saß. Zwar finde ich auch hier die Art und Weise, wie es ihr klar wird ist ein weiterer Armreif Moment, aber mit der Logik scheinen sie es diese Staffel nicht all zu genau zu nehmen.
Ende gut, alles … ach halt ne, zwischen Eloise und Penelope geht es jetzt definitiv gerade erst richtig los.
Unterhaltung für nebenbei
Alles in allem scheitert die neue Staffel sowohl Story technisch, als auch im Romantikfaktor. Anthony und Kate haben hier definitiv keine Chance gegen Daphne und Simon und der gesamte Plot um Penelope und ihre geheime Identität als Lady Whistledown fühlt sich für mich einfach sehr eingeschoben und abgehetzt an. Ich bin deshalb umso gespannter auf die Bücher, die ich mir jetzt zugelegt habe. Für meinen Geschmack hat sich das Theater zwischen dem Viscount und seiner Zukünftigen gezogen wie Kaugummi und der Staffel dann aber ein viel zu abrupten Ende beschert, weshalb die meisten anderen Handlungsstränge nur sehr oberflächlich angekratzt wurden oder auf der Strecke geblieben sind. Deshalb würde ich die zweite Staffel leider nur als Unterhaltung für nebenher empfehlen. Ich bin jetzt sehr gespannt, wie sie euch gefallen hat und ob ihr die Bücher zufällig gelesen habt?